Vom Planeten Venus zum Symbol 'Venus'
Der Planet Venus umrundet die Sonne in 584 Erden-Tagen; dabei erscheint er uns 292 Tage als Morgenstern und 292 Tage als Abendstern. Da Venus innerhalb der Erdbahn die Sonne umkreist, lässt sich von der Erde aus nicht nur beobachten, wann sie hinter der Sonne ‚verschwindet’ (obere Konjunktion), sondern auch, wann sie 'vor' der Sonnenscheibe ihren erdnächsten Punkt erreicht (untere Konjunktion).
Werden die Daten der unteren Konjunktionen der Venus auf einem Kreis abgetragen, und diese Punkte in der Reihenfolge ihrer Entstehung verbunden, so ergibt sich - wegen der fast kreisrunden Umlaufbahn des Planeten – im Laufe von acht Erdenjahren ein
Pentagramm. In dieser Zeit umkreist Venus fünfmal die Sonne und steht dann aus irdischer Sicht wieder fast an der selben Stelle am Himmel wie acht Jahre zuvor. (
Werden sowohl obere wie untere Konjunktionen eingetragen, entsteht das Pentagramm bereits nach vier Jahren; diesen Venus-Zyklus feierte man in der Antike jeweils mit einer Olympiade.)
1. Mythos und Astrophysik
Ausgerechnet dieser strahlenden und so ebenmäßig laufenden Venus gelten weltweit in Mythen, Kulten, Ritualen erstaunlich gegensätzliche Emotionen und Erregungen. Als Morgenstern wurden ihr noch in der Antike Menschenopfer dargebracht und ihr Pentagramm ist seit Jahrhunderten ein weitverbreitetes Schutz- und Abwehrzeichen. Venus wurde gefürchtet und verehrt; in den babylonischen Hymnen an Ischtar-Venus sagt die Göttin von sich selbst:
"Die Herrschaft hat er (mein Vater) mir gegeben, die Herrinnenschaft hat er mir gegeben,
die Schlacht hat er mir gegeben...
Ich lasse regnen auf die Feindin(nen) einen Kampf wie einen Feuerstrahl...
Ich durchschreite immer wieder den Himmel, stürze die Erde um;
dann vernichte ich den Rest der Ortschaften...
Ich bin die kriegerischste der Götter, eines ehrfurchtgebietenden Glanzes bin ich voll."
(nach T. Solyman - Die Entstehung und Entwicklung der Götterwaffen im Alten Mesopotamien und ihre Bedeutung, Diss. Berlin 1964, S. 44,53)
Wie kam es dazu? Welche Bedrohung ging einst von ihr aus?
Das Verdienst, hier erstmals eine Lösung geboten zu haben, gebührt dem Psychoanalytiker
Immanuel Velikovsky (1895-1979). Er brachte die mit Venus verbundenen mythologischen und astro-physikalischen Phänomene und die ihr geltenden gegensätzlichen Affekte erstmals in einen Zusammenhang und nahm an, Venus sei im Zuge einer katastrophischen Umwälzung und Neuordnung unseres Planetensystems auf ihre heutige Umlaufbahn gelangt. Dabei sei sie mehrmals der Erde so nahe gekommen, dass diese von gewaltigen Katastrophen heimgesucht wurde und zwar in historischer Zeit.
Dieses Szenario gilt nach herrschender astrophysikalischer Lehre als ausgeschlossen, doch Velikovsky ging bereits Mitte des 20.Jh. von einem elektrischen Universum aus. Er wurde dafür vielfach diffamiert, ungeachtet der Tatsache, dass sich seine astrophysikalischen Voraussagen großenteils bestätigt haben.
Seit den 1960er Jahren bestätigten die sowjetischen und amerikanischen Venussonden seine Annahme einer glühendheißen Venus mit einer dichten Atmosphäre aus Kohlenwasserstoffen. Die Wissenschaftler waren geschockt, denn eine solche Venus passte nicht ins astrophysikalische Weltbild. Um es zu retten, erklärte 1974 einer der schärfsten Kritiker Velikovskys, der Astronom Carl Sagan, die damals gemessene Venus-Oberflächentemperatur von 500 Grad mit einem "Galopping Greenhouse Effect", der seitdem als "Treibhauseffekt" auch für irdische Phänomene herhalten muss.
2. Von der Göttin zum Symbol
Die Erfahrungen von Schrecken und Zerstörung durch Planetengottheiten wie auch der Wandel zu einer neuen Himmelsordnung wurden verarbeitet in Mythen, Kulten und Ritualen. Darin spielt Venus eine entscheidende Rolle.
Wenn dies erst in der 'geschichtlichen Zeit' des Menschen passierte, müssen viele unserer Vorstellungen über die Entstehung und Entwicklung von Wissenschaft, Religion, Kultur ... grundlegend neu überdacht werden.
Der neuen Himmelsordnung folgten neue Götterbilder. Die einst gefürchtete, kriegerische, den Himmel beherrschende Venus wurde zur verehrten Allgöttin und Magna Mater als Matrix der Wandlung: Leben und Tod, Licht und Dunkel, Heil und Untergang, Segen und Schrecken, Krieg und Kulturblüte - alles kam aus ihrem Schoß.
Wo sich männliche Götter- und Erlöservorstellungen durchsetzten, blieb Venus als "Liebesgöttin", die Magna Mater als "Gottesgebärerin" erhalten.
Aus den Erfahrungen ging ein neues Welt- und Menschenbild und Symbolbildung hervor. Die bestehende Symbolik transportiert jene gegensätzlichen Erregungen, die einst den Planetengottheiten, insbesondere der Venus, galten.
"Venus" wurde in allen Kulturen ein Symbol für das Spannungsfeld, in dem sich menschliches Bewusstsein bewegt.
Seitdem sorgt sich der Mensch um das Gedeihen der Kulturgüter und die Stabilität des Himmels. Während einst versucht wurde, die Himmels'götter' durch Opferrituale friedlich zu stimmen und durch magische Rituale in den Bann zu schlagen, wird nun die Berechenbarkeit des Himmels, seine Dauerhaftigkeit und Stabilität beschworen.
Wissenschafts- und Religions-Geschichte spiegeln den Konflikt der Menschen:
einerseits unsere Abhängigkeit von einer größeren Kraft oder Macht anzuerkennen,
andererseits diese zu durchschauen, zu kontrollieren und ihr zu entkommen.
Zugleich zeigen sie das Bedürfnis der Menschen,
- sich unter einem neuen Himmel zu orientieren;
- sich sicher zu fühlen - in dem Bewusstsein, dass nichts sicher ist,
- und dies Wissen zu verdrängen - stets von der Angst getrieben, das Wichtigste im Leben zu verpassen.
Angst, Kontrollbedürfnis und Verdrängung führen bis heute dazu, dass nach starken rettenden Helden – irdischen und manchmal "außerirdischen" – gerufen wird, wenn die Lage brenzlig wird.
Gleichzeitig entwickelten sich jedoch spirituelle Traditionen, die uns in die Lage versetzen, den Konflikt anders wahrzunehmen:
als die einzigartige Chance und Herausforderung, Mensch-Sein im besten Sinne zu verwirklichen, indem wir uns die Konflikte bewusst machen, die Angst überwinden und dem schöpferischen Lebensprinzip dienen.
Die zugehörige Symbolik erhellt eine geistige Entwicklung, deren Gewissheit darin besteht, dass wir alle Teil einer großen Einheit sind, dass alle Wege nicht an die Spitze (und damit in eine Sackgasse) führen, sondern ins Zentrum.
Diese Erkenntnis wird jedoch von den heutigen Religionen nicht umgesetzt in eine dem Leben dienende Zusammenarbeit, weil sie ihre wahre Entstehungsgeschichte verleugnet und verfälscht haben.
Eine heilvolle Zukunft wird es für die Religionen nur geben, wenn sie sämtliche Absolutheits- und Weltmachtansprüche so wie heilsgeschichtliche Erwartungen ablegen.
Solange der Kampf außen stattfindet, kann der innere nicht gewonnen werden.
Wer die äußere Welt beherrschen will, verliert den Drachenschatz und das Königreich.
Das Symbol 'Venus' weist damit letztlich den Weg zur Überwindung der existentiellen Angst des Einzelnen durch die Liebe, die alles verbindet - angesichts der kurzen Zeit zwischen Geburt und Tod, unter einem Himmel, der niemals sicher ist.